Die "unechte Teilortswahl" wurde in der Gemeinderatssitzung vom 16.April 2018 abgeschafft.

Was bedeutet das für Harpolingen?

Gemäß Eingliederungsvertrag zwischen der Gemeinde Harpolingen und der Stadt Bad Säckingen vom 29.November 1972  gab es in Harpolingen

  • eine Ortsverwaltung
  • eine Ortsverfassung mit Ortschaftsrat und Ortsvorsteher 
  • einen gewählten Vertreter im Bad Säckinger Gemeinderat, der im Wege der "unechten Teilortswahl" gewählt wird

Diese drei Organe arbeiten zwar eng zusammen, aber eine Abschaffung eines Organs bedeutet noch nicht, dass auch die anderen beiden Gremien wegfallen.

Zusätzlich zum Eingliederungsvertrag gelten noch die Baden-Württembergische Gemeindeordnung (GemO)und die Bad Säckinger Hauptsatzung. Dort sind alle Details über Rechte und Pflichten der Gremien geregelt.

 

Über die Ortsverwaltung heißt es im Eingliederungsvertrag:

"§7 Örtliche Verwaltung:
(1) In der Ortschaft Harpolingen wird eine örtliche Verwaltung eingerichtet.
(2) Das bisherige Bürgermeisteramt Harpolingen bleibt als örtliche Verwaltungsstelle weiter bestehen. Die Aufgaben der örtlichen Verwaltung ergeben sich aus dem als Anlage beigefügten Aufgabenkatalog. Eine Änderung ist nur im Benehmen mit dem Ortschaftsrat zulässig."

"Benehmen" ist in der Rechtswissenschaft eine Form der Mitwirkung bei einem Rechtsakt. Während "Einvernehmen" bedeutet, dass vor einem Rechtsakt das Einverständnis einer anderen Stelle vorliegen muss, ist dagegen eine Entscheidung, die "im Benehmen" mit einer anderen Stelle zu treffen ist, nicht unbedingt mit dem Einverständnis der anderen Stelle zu fällen. Vielmehr kann von der Äußerung der beteiligten Stelle aus sachlichen Gründen abgewichen werden. Das bedeutet, dass Änderungen am Aufgabenkatalog der Ortsverwaltung oder an der Ortsverwaltung selbst zwar dem Ortschaftsrat vorgelegt werden müssen, aber nicht dessen Einverständnis erfordern.

Es gibt aber noch eine weitere Regelung betr. Ortsverwaltung, nämlich in der Hauptsatzung der Stadt Bad Säckingen. Dort steht im § 22 ;"Die Aufhebung der örtlichen Verwaltung kann nur mit Zustimmung des jeweiligen Ortschaftsrates erfolgen." 

 

Ortsverfassung, Ortschaftsrat und Ortsvorsteher:

Der Eingliederungsvertrag legt in § 5 fest: "Die Stadt Sackingen verpflichtet sich, durch Änderung ihrer Hauptsatzung die Ortschaftsverfassung .... einzuführen.
Die eingegliederte Gemeinde Harpolingen erhält die Rechte einer Ortschaft ...." 

Die Ortsverfassung legt fest, dass Harpolingen einen Ortschaftsrat und einen Ortsvorsteher hat. Deren Zuständigkeiten, Aufgaben und Rechte sind in §§ 8- 9  des Eingliederungsvertrages festgelegt.  Der Eingliederungsvertrag enthält jedoch keine Fristen, wie lange die Ortsverfassung in Harpolingen mindestens bestehen bleiben muss. Aber die Baden-Württembergische Gemeindeordnung legt fest:

"§ 73  Aufhebung der Ortschaftsverfassung

(1) Die Ortschaftsverfassung kann durch Änderung der Hauptsatzung zur nächsten regelmäßigen Wahl der Gemeinderäte aufgehoben werden. ...

(3) Ist die Ortschaftsverfassung auf Grund einer Vereinbarung nach § 8 Abs. 2 und § 9 Abs. 4 auf unbestimmte Zeit eingeführt worden, kann sie durch Änderung der Hauptsatzung mit Zustimmung des Ortschaftsrats aufgehoben werden, frühestens jedoch zur übernächsten regelmäßigen Wahl der Gemeinderäte nach Einführung der Ortschaftsverfassung. Der Beschluss des Ortschaftsrats bedarf der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder."

Das bedeutet: eine Abschaffung der Ortsverfassung (einschließlich Ortschaftsrat und Ortsvorsteher) erfordert die Zustimmung des Ortschaftsrats.

 

Die "Unechte Teilortswahl"

ist eine Sonderregelung im Kommunalwahlrecht von Baden-Württemberg, die eine ausreichende und garantierte Repräsentation einzelner Teilorte im Gemeinderat sichern soll. Den einzelnen Teilorten ist eine bestimmte Anzahl Sitze im Gemeinderat garantiert (Harpolingen und Rippolingen je ein Sitz, Wallbach zwei Sitze). Es dürfen aber nicht nur die Wähler in einem Ortsteil über ihre Kandidaten abstimmen, sondern alle Wähler der Gemeinde stimmen über die Kandidaten aller Ortsteile mit ab. Daraus leitet sich die Bezeichnung unecht ab (bei einer echten Teilortswahl könnte nur jeder Teilort seine eigene Vertretung wählen). Zusätzlich sind die jeweiligen Ortsvorsteher im Gemeinderat vertreten, allerdings ohne Stimmrecht.

Eine Abschaffung der unechten Teilortswahl  hat nichts mit einer Abschaffung von dezentralen Ortsverwaltungen (s.o.) zu tun.

Wie fast alles im Leben, hat auch die "unechte Teilortswahl"  Vor- und Nachteile:

Zu den Nachteilen gehört:

  • das Wahlverfahren ist relativ kompliziert. Einerseits hat man bei der Kommunalwahl sowieso mehrere Wahlzettel auszufüllen (Gemeinderat, Kreistag, Ortschaftsrat und am gleichen Tag auch Europawahl). Aber richtig aufpassen muss man, weil bei der Gemeinderatswahl mehrere Stimmen abgegeben werden dürfen: man kann z.B. mehrere Stimmen an einen Kandidaten vergeben ("Kumulieren"), oder Kandidaten aus verschiedenen Listen ankreuzen ("Panaschieren"). Es darf jedoch nur eine bestimmte Maximalzahl an Stimmen an Kandidaten aus den Ortsteilen vergeben werden. Leider passiert es relativ häufig, dass versehentlich zuviele Kandidaten aus den Ortsteilen angekreuzt werden (weil man die ja besonders gut kennt und daher in den Gemeinderat wählen möchte) - und diese Stimmzettel sind dann ungültig.  Bei Kommunalwahlen nach dem Prinzip der unechten Teilortswahl sind etwa fünf Prozent der Wahlzettel ungültig (der übliche Anteil ungültiger Stimmen ist ca. zwei Prozent).  (nach Wikipedia, Stand März 2018).

    Aber auch nach der Abschaffung der unechten Teilortswahl bleibt das Wahlverfahren kompliziert: Kumulieren und Panaschieren sind weiterhin möglich!

    Allerdings muss man nur noch einmal nachzählen:  "stimmt die Gesamtzahl der vergebenen Stimmen?"  
    (Bei der unechten Teilortswahl muss man zusätzlich kontrollieren: "Habe ich zuviele Stimmen in einem Ortsteil vergeben?")

Zu den Vorteilen gehört:

  • dieses spezielle Wahlverfahren soll sicherstellen, dass auch kleine Gemeindeteile angemessen im Gemeinderat repräsentiert sind (deshalb "Teilortswahl"), ohne gleichzeitig Gefahr zu laufen, daß sich Wählergruppen zur Wahl stellen, die nur die Interessen eines einzelnen Dorfes vertreten (deshalb "unecht").

Nach der Abschaffung der unechten Teilortswahl haben kleine Ortsteile nur dann Chancen auf einen Vertreter im Gemeinderat, wenn sie Kandidaten aufstellen können, die in der Kernstadt ausreichend bekannt sind, um gewählt zu werden (2014 waren in der Kernstadt mindestens ca 2000 Stimmen erforderlich, um in den Bad Säckinger Gemeinderat gewählt zu werden). Ansonsten ist der Ortsteil nur noch über den - nicht stimmberechtigten - Ortsvorsteher im Gemeinderat vertreten.

In Gemeinden, die aus vielen kleinen Ortsteilen bestehen, ist die Abschaffung der unechten Teilortswahl oft unproblematisch, da ein grundsätzliches Bewusstsein für die Bedürfnisse kleiner Dörfer vorhanden ist. In Gemeinden mit einer übermächtigen Kernstadt (Bad Säckingen: ca 14'000 Einwohner in der Kernstadt) werden die Bedürfnisse der kleinen Ortsteile (ca 1'500 Einwohner in Wallbach, 800 in Rippolingen, 700 in Harpolingen) weniger (zu wenig?) wahrgenommen.